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Inklusive Ausbildung muss niemand im Alleingang im Unternehmen etablieren und umsetzen. Es ist immer ratsam, Verbündete unter Kollegen/-innen zu gewinnen und externe Beratungsstellen hinzuzuziehen. Passende Ansprechpartner/-innen, Best Practice und praktische Tipps auch aus Betroffenensicht weisen Ihnen in diesem Artikel Möglichkeiten zur Gewinnung von Auszubildenen mit Behinderung auf.
Große Bedeutung der inklusiven Ausbildung
Dr. Oliver Borszik, Projektleitung des Forum Inklusion im Rahmen von ddn Hamburg, führte die Teilnehmenden im November mit einem Audio-Zitat von Raúl Krauthausen aus dem Feature auf Deutschlandfunk Kultur zum Thema "Inklusion und Arbeitsmarkt – Deutschland behindert sich selbst" ins Thema des aktuellen Forums ein: "Menschen ohne Behinderung sehen immer dann Probleme, wenn sie nie den Umgang mit Menschen mit Behinderung gelernt haben. (…) Und diesen Umgang kann man (…) nur schaffen, wenn wir inklusive Schulen haben, inklusive Ausbildungsstätten hätten, wenn wir von Kindesbeinen an gemeinsam aufwüchsen." Die Worte des Aktivisten machten die Bedeutung von inklusiver Ausbildung für alle noch einmal sehr deutlich.
Jutta Spormann-Becker, Referentin Arbeitsmarktpolitik für Menschen mit Beeinträchtigungen der Hamburger Sozialbehörde, nahm den Faden auf und verwies darüber hinaus auf die aktuellen Zahlen der Ausbildungsbilanz der Agentur für Arbeit: "Auf 100 gemeldete Ausbildungsstellen kommen statistisch nur 80 Bewerber/-innen. Die unbesetzten Ausbildungsstellen stiegen im Vergleich zum Vorjahr auf knapp 69.000 bundesweit. Das sind alarmierende Zahlen, die Unternehmen zum Umdenken bringen sollten", so die Referentin.
Inklusions-Status in Unternehmen
"Viele Unternehmen bilden bereits inklusiv aus oder sind auf dem Weg dorthin", so Dr. Borszik. "Allerdings scheint es eine Lücke zwischen Unternehmen, die keine Bewerbungen von Menschen mit Behinderung bekommen, und Menschen mit Behinderung, die keinen Ausbildungsplatz erhalten, zu geben. Hier im Forum Inklusion möchten wir dazu beitragen, dass sich diese Lücke weiter schließt."
Um mehr über den Erfahrungsstand der Teilnehmenden zu erfahren, führte Dr. Borszik eine digitale Umfrage mit ihnen durch. Anonym konnten sie die verschiedenen Bereiche der Inklusionsambitionen in ihrem Unternehmen einstufen:
1. Aktive Ansprache von Menschen mit Behinderung im Recruiting.
2. Angaben zur Barrierefreiheit in der Außendarstellung als Zeichen der Inklusionsambitionen.
3. Benennung einer konkreten Ansprechperson für Fragen zu Inklusion und Barrierefreiheit.
4. Zeichen für eine vielfältige Belegschaft durch die Auswahl der Fotos.
Die abgefragten Bereiche zeigten auf, dass schon kleine Schritte zu einer inklusiven Unternehmenskultur beitragen können. Die Rückmeldungen verdeutlichten, dass sich einige Unternehmen bereits Gedanken zu den Themen gemacht, erste Ansätze entwickelt oder schon Erfahrungen gesammelt haben.
Erkenntnisgewinn durch Praktikum oder Probebeschäftigung
Für alle Unternehmen, die noch am Anfang eines inklusiven Weges stehen und noch unsicher sind, schlug Oliver Borszik vor, zunächst mit einem Praktikumsangebot zu starten. Dadurch können beide Seiten Erfahrungen im Arbeitsalltag miteinander sammeln. Vertiefen lassen sich die Erkenntnisse durch eine Probebeschäftigung. Die Dauer beträgt bis zu drei Monate und sie kann in der Regel über die Agentur für Arbeit gefördert werden. "Über Talentplus finden Sie Informationen, wie Sie Fachkräfte und Auszubildende finden können und auch zur finanziellen Förderung einer Probebeschäftigung", so der Moderator.
Rolle und Aufgaben von Inklusionsbeauftragten
Viele Unternehmen, die bereits einen Schritt weiter sind, haben eine Person bestimmt, die für Fragen der Inklusion zuständig ist. Inga Krause ist Inklusionsbeauftragte bei akquinet outsourcing gGmbH und brachte den ersten Praxisimpuls ein. "Hat ein Unternehmen eine Ansprechperson benannt, so macht es das auch für externe Stellen einfacher, Kontakt aufzunehmen. Es ist für das Recruiting von Menschen mit Behinderung eine große Erleichterung."
Aber auch für Unternehmen am Anfang des Prozesses hat Inga Krause Empfehlungen: "Suchen Sie sich Verbündete im Unternehmen, die das Thema genau wie Sie voranbringen wollen, und starten Sie erst mal mit einem Praktikumsangebot für Menschen mit Behinderung." Sie gab zu bedenken, dass es manchmal auch Sinn macht, den Arbeitsbereich auf die jeweiligen Mitarbeitenden anzupassen, anstatt zu gucken, wer zur Stellenausschreibung passt.
Perspektive von Beschäftigten mit Behinderung
Jens Nübel ist Vertrauensperson für Menschen mit Behinderung bei der Deutsche Telekom Services Europe SE und brachte die Perspektive der Beschäftigten ein. "Ich glaube, dass die Außendarstellung vieler gerade größerer Unternehmen für einige Menschen mit Behinderung abschreckend wirkt", so Nübel. Auf die Nachfrage eines Teilnehmers, wie man die Zielgruppe auf der Website und in Stellenausschreibungen besser abholen könnte, empfahl er, Beispiele der Inklusion oder Stimmen aus dem Unternehmen als Beleg für das ernstgemeinte Interesse des Unternehmens zu veröffentlichen. Als positives Beispiel wurde die Karriereseite der akquinet outsourcing gGmbH angeführt.
Fach- und Beratungsstellen nutzen
"Die Telekom würde auch mehr Menschen mit Behinderung in Ausbildung aufnehmen, aber auch wir merken, dass nicht genügend Bewerbungen eingehen", erklärte Jens Nübel. "Eine Möglichkeit des aktiven Recruitings ist sicher die Kontaktaufnahme bei Berufsbildungswerken oder der Agentur für Arbeit." Auch in allen anderen Bereichen sei es wichtig, sich Rat von Fach- und Beratungsstellen zu holen. "Inklusive Ausbildung ist ein vielschichtiges Thema, aber keins zum Verzweifeln. Denn man ist niemals allein", beruhigte Jens Nübel.
Haben Unternehmen und Bewerber/-in erst einmal zueinandergefunden, sei dies meist ein sehr loyales Arbeitsverhältnis. "Aber achten Sie bei der Zusammenarbeit darauf, nicht über, sondern mit dem Menschen zu sprechen. Gerade bei der Frage, was jemand am Arbeitsplatz braucht, um seine Aufgaben gut zu bewältigen, ist der Beschäftigte selbst Experte/-in", riet Nübel.
Praxisorientierter Austausch im Forum zu Antragsfristen
Ein Teilnehmer äußerte seine Erfahrung, dass Führungskräfte sich im letzten Moment doch manchmal gegen Kandidaten/-innen mit Behinderung entscheiden, wenn die Beantragung und Freigabe der Unterstützung durch die verantwortlichen Stellen zu lange dauern. Dazu meldete sich umgehend die passende Ansprechpartnerin aus der Zuhörerschaft. Louisa Eckmann ist Teamleiterin Reha Ersteingliederung bei der Agentur für Arbeit Hamburg: "Eine Rückweisung mit dem Hinweis, dass die angeschriebene Stelle nicht zuständig sei, darf nicht passieren. Es gibt eine gesetzliche Grundlage, nach der die Behörde zur Weiterleitung und Einhaltung von Fristen verpflichtet ist", so die Teamleiterin.
Eine hypothetische Prüfung auf Förderungsbewilligung im Vorfeld, um die Einstellung dann zu beschleunigen, sei jedoch leider nicht möglich. "Es muss immer eine konkrete Person und ein konkreter Arbeitsplatz vorliegen, um eine Förderung zu prüfen", so Eckmann.
Teilnehmende stellt Angebot der Arbeitsassistenz vor
Der lebhafte Austausch zwischen Vertretern/-innen von Unternehmen und Fachstellen setzte sich auch nach der Pause fort. Sarah Rahn stellte sich als stellvertretende Referatsleitung Inklusion des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung (HIBB) vor und empfahl die Möglichkeit der Arbeitsassistenz. "Diese Person kommt in den Betrieb und die Schule und begleitet auf Wunsch die Auszubildenden", so Rahn. Dazu sei es jedoch wichtig, dass der oder die Auszubildende es wünscht, diese Form der Begleitung zu erhalten. Zur Einführung und Verstetigung inklusiver Strukturen sind an allen Hamburger berufsbildenden Schulen Inklusionsbeauftragte eingesetzt worden. Weitere Informationen sind auf der Homepage des HIBB zu finden.
Nachteilsausgleich bei Abschlussprüfungen
Nachdem dargestellt wurde, wie Betriebe sich auf Auszubildende mit Behinderung einstellen können, erläuterte Heike Vorderwülbecke vom Team "Ausbildung und Prüfungsorganisation" der Handelskammer Hamburg die möglichen Anpassungen bei der Abschlussprüfung. "Es gibt viele Wege des Nachteilsausgleiches, die wir bei der Prüfung gewähren können", so Vorderwülbecke. Für einen Überblick verwies sie auf die hilfreiche Broschüre des Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) "Nachteilsausgleich 2014".
Schreibzeitverlängerung, Nicht-Berücksichtigung der Rechtschreibfehler sowie Pausen für die Messung des Blutzuckerspiegels seien beispielsweise Nachteilsausgleiche, die häufiger angewandt werden. "Wichtig ist es, dass diese früh beantragt und die nötigen Nachweise beigefügt werden", betonte sie und verwies auf den Antrag auf der Website der Handelskammer.
Teilzeitausbildung im Praxistest
Die Möglichkeit der Teilzeitausbildung ist seit 2020 auch für Menschen mit Behinderung gegeben. Eine Teilnehmerin fragte, ob diese denn häufig in Anspruch genommen würde. Heike Vorderwülbecke berichtete, dass eine Verlängerung der Ausbildungszeit häufiger beantragt wird, aber seltener eine Teilzeitausbildung. Louisa Eckmann gab zu bedenken, dass sich die Teilzeitregelung nur auf den Betrieb beziehe und es oft daran scheitere, dass in der Berufsschule keine Teilzeit möglich ist.
Bekanntheit der Fördermöglichkeiten steigern
"Wie bekannt ist denn die Möglichkeit des Nachteilsausgleichs bei Unternehmen?", lautete eine weitere Frage aus dem Kreis der Teilnehmenden. "Das ist schwer zu sagen. Die Handelskammer weist immer wieder darauf hin", antwortete Vorderwülbecke. Auch Veranstaltungen wie das Forum Inklusion sollen die Unterstützungs- und Förderangebote in die Breite tragen und Unternehmen sowie Menschen mit Behinderung ermutigen, in Kontakt zu treten.
Alle Beteiligten haben zugestimmt, für Nachfragen zur Verfügung zu stehen. Nutzen Sie die Möglichkeit und tauschen Sie sich zu Ihren individuellen Fragen oder Herausforderungen aus.
Inga Krause, Inklusionsbeauftragte bei akquinet outsourcing gGmbH
Inga.Krause@akquinet.de
Jens Nübel, Vertrauensperson für Menschen mit Behinderung bei der Deutsche Telekom Services Europe SE
Jens.Nuebel@telekom.de
Heike Vorderwülbecke, Team "Innovation/neue Märkte" der Abteilung "Ausbildung und Prüfungsorganisation" der Handelskammer Hamburg
heike.vorderwuelbecke@hk24.de
Frank Riediger, Ausbildungsberatung Handelskammer Hamburg
frank.riediger@hk24.de
Sarah Rahn, stellvertretende Referatsleitung Inklusion des Hamburger Institut für Berufliche Bildung
Sarah.Rahn@hibb.hamburg.de
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